Beiträge zum Jubiläum
Das Südcafé feiert im Jahr 2025 sein 10-jähriges Bestehen! Mit Blick auf 2000 Jahre Kirchengeschichte ist das vielleicht keine lange Zeit, als Begegnungscafé für Menschen mit Fluchterfahrung aber durchaus, und mit Blick auf unsere Kirchgemeinde lässt sich feststellen, dass das Südcafé sogar älter ist als die Gemeinde.
Wir haben das Jubiläum zum Anlass genommen, um Menschen, die das Südcafé in den vergangenen 10 Jahren mitgestaltet oder begleitet haben, um kurze Beiträge zu bitten, die an die Anfänge erinnern und Einblicke in die Entwicklung des Südcafés geben. Zu jedem Monatsanfang wird ein neuer Beitrag hier auf dieser Seite eingestellt. Bis zum Jubiläumsfest am 31. Oktober werden es 10 Beiträge sein, in denen 10 Jahre Südcafé lebendig werden.
Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre - und danken herzlich Allen, die bereit waren ihre Erinnerungen mit uns zu teilen!

April 2025
Gastfreundschaft und Gemeinschaft von Prof. em. Dr. Jürgen Ziemer
Als 2015 aus der Bethlehem-Gemeinde die Idee für die Einrichtung eines Flüchtlingscafés in unseren Gemeinden aufkam, hat mich das sofort überzeugt. Die vielen Menschen, die aus Afghanistan und Syrien und bald auch weiteren Ländern zu uns kamen, in unserem Land und also auch hier bei uns in Leipzig aufzunehmen und anzunehmen – das konnte man nicht allein den zuständigen Behörden überlassen. Da musste die Zivilgesellschaft und mit ihr die Kirchgemeinden aktiv werden, um all den Geflüchteten nach ihren langen und teilweise sehr strapaziösen Wegen hierher ein Zeichen von Begrüßung und Willkommen zu geben. Bald kamen die Geflüchteten ins neu erfundene „Südcafé“, es fanden sich Helfende aus den Gemeinden, leitende Mitarbeiter:innen und bald auch eine geeignete Lokalität im Evangelischen Schulzentrum.
Ich war fast von Anfang an dabei, nicht immer regelmäßig. Oft war ich beeindruckt, zeitweise sehr engagiert, gelegentlich auch überfordert. Nie habe ich an der Sinnhaftigkeit dieser wunderbaren Einrichtung gezweifelt.
Statt einiges meiner Erfahrungen hier zu erzählen, möchte ich die Gelegenheit zum 10 jährigen Jubiläum nutzen, um als Theologe darüber nachzudenken, was für eine Art von Einrichtung dieses offene Café in der Schirmherrschaft zweier Kirchgemeinden eigentlich darstellt. Meine These ist, dass sich - soziologisch betrachtet – im Südcafé zwei unterschiedliche Sozialformen finden, dauerhaft miteinander verbunden: Gastfreundschaft (hospibility) und Gemeinschaft (community). Beides hängt zusammen und muss unterschieden werden.
Zunächst: Gastfreundschaft. Sie ist das erste, das notwendig ist, wenn Fremde kommen. In fast allen Kulturen und allen Religionen gibt es ein Gebot, ihnen ein Gastrecht einzuräumen. Im Einzelnen mögen die Sitten unterschiedlich sein. Aber immer geht es um Respekt gegenüber den „Fremden“ und die Wahrnehmung ihrer naheliegenden Bedürfnisse. Im Neuen Testament wird ausdrücklich von Fremdenliebe (philonexia) gesprochen. Wie Gastfreundschaft konkret aussieht, beschreibt ein Mönchsvater aus dem 4.Jh.: Wenn ein Fremder kommt „begrüße ihn mit froher Miene, umarme ihn und nimm ihm freudig das Bündel ab, das er trägt…Hüte dich davor, ihm überflüssige Fragen zu stellen und lade ihn zum Gebet ein. Nachher, wenn er sich gesetzt hat, erkundige dich, wie es ihm gehe, mehr nicht…“ Diese Anweisungen für Gastfreundschaft sind leicht zu übertragen: einen Fremden aufnehmen, keine überflüssigen Fragen stellen, aber sich erkundigen, wie es geht… Zum Wesen der Gastfreundschaft gehört, dass sie zeitlich begrenzt ist. Denn Gast ist, wer wieder geht. Das Südcafé ist zunächst ein Ort der „Gastfreundschaft“, des Empfangs. Eine Tasse Café miteinander zu trinken hat hohen Symbolwert. Gastfreundschaft ist wichtig und notwendig: das Südcafé muss offen sein für immer wieder neue Gäste. Und es sollte so bleiben.
Zugleich aber wird es, weil viele bleiben, etwas anderes: Ort von Gemeinschaft. Das ist mehr als Gastfreundschaft, nämlich nun auch ein Stück von Miteinandersein auf Zeit. Erlebt wird das im Südcafé zunächst als Sprachgemeinschaft. Die Sprache ist paradoxerweise zugleich das, was uns trennt und was uns verbindet. Nicht nur bei den Hausaufgaben des Deutschunterrichts lernen wir gemeinsam, sondern auch dann, wenn wir gewissermaßen „ohne Netz“ versuchen, einander etwas mitzuteilen und von einander etwas zu erfahren. Die Fremdheit der Herkunft fordert besondere Anstrengungen, Sprache zu finden – und eben das bringt uns näher; denn Sprache ist nicht nur Verständigung (intellektuell), sondern auch Berührung (emotional). Im Südcafé kann so die Sprachgemeinschaft auch in besonderer Weise zur Solidargemeinschaft werden. Denn natürlich ist allen Besuchern des Südcafés aus der Ferne und von hier bewusst, wie kontrovers der Umgang mit dem Ausländerthema in der deutschen Zivilgesellschaft diskutiert wird. Das Südcafé hat keine politischen und keine juristischen Instrumente. Aber es kann für jede einzelne Person ein Ort der Stärkung und Zuversicht werden: hier darf ich sein, hier finde ich Verständnis, hier erfahre ich Solidarität. Und das zeigt sich oft auch ganz praktisch durch Hilfe beim Umgang mit deutschen Behörden, bei der Wohnungssuche, bei der Vermittlung von fachlicher Beratung, bei gemeinschaftlicher Musik und fröhlichem Feiern usw.
Südcafé – Ort von „Gemeinschaft“! Vielleicht macht mancher auch ein Fragezeichen. Das ist gut verständlich. Es passiert schon mal, dass jemand sich übersehen fühlt. Gemeinschaft im Südcafé ist immer auch eine Herausforderung. Nur so kann es zu einer Brücke für das Leben im deutschen Alltag werden.
Wir feiern sein Bestehen nach zehn Jahren mit Dankbarkeit und mit Blick nach vorn.
Dank an alle, die hier mitwirken – vielfältig und hoch engagiert
Möge Gottes Segen auf dem Südcafé ruhen und alle seine Besucher auf ihren Wegen begleiten!
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[lt] Professor Jürgen Ziemer lehrte Praktische Theologie u.a. an der Universität Leipzig und ist dem Südcafé mit seinem Engagement von Anfang an verbunden. [gt]
PDF zum Download: "Gastfreundschaft und Gemeinschaft" von Prof. em. Dr. Jürgen Ziemer
04_Gastfreundschaft und Gemeinschaft_ Prof Jürgen Ziemer.pdf
März 2025
Von Anpassungen und Möglichkeiten – das Südcafé im Lockdown von Annegret Jopp
Das Südcafé wird 10 Jahre alt! Ein schöner und guter Grund zu feiern. Ich gratuliere herzlich zu 10 Jahren zuverlässiger Begleitung von geflüchteten Menschen, 10 Jahre voll mit Begegnungen, Interesse an Anderen, Kennenlernen, Grenzen überwinden, manchmal auch aushalten. Offenheit für andere Kulturen, andere Ansichten, andere Lebenswege. Ich glaube, das ist es, was das Südcafé ausmacht. Dass es so lange besteht, dass es immer weiter blüht und gedeiht.
Eine ganz besonders herausfordernde Zeit war ab 2020 die Zeit der Einschränkungen in der Coronapandemie. Erst ein Lockdown, danach konnten wir uns eine Weile draußen treffen, es war am Anfang heiß, dann wurde es frisch und regnete, der Kirchenraum der Peterskirche war groß genug, um uns in Gruppen von fünf bis sechs Personen in verschiedenen Bereichen mit Abstand zu treffen. Die Akustik allerdings machte uns Gespräche in diesen Kreisen schwer, die Maske auch. Aber wir konnten uns sehen, wir konnten reden. Dennoch blieben viele zur Sicherheit lieber zu Hause, wer wusste schon, was wirklich hilft, was sicher war. Die Regeln änderten sich ständig. Begegnungen mussten nachvollziehbar sein, dokumentiert werden. Und am Ende gab es wieder einen Lockdown.
Wir versuchten bei den ersten Lockerungen, Spaziergänge zu organisieren und Begegnungen zu zweit. Ein paar gelangen, aber eine Schwierigkeit im Südcafé zeigte sich hier sehr deutlich. Verabredungen zu ganz konkreten Zeitpunkten sind eine sehr mitteleuropäische Kultur, es gelang selten. War unser Angebot zu unkonkret, sind Begegnungen zu zweit zu persönlich?
Eine andere Möglichkeit waren Online-Treffen, wir konnten Dokumente teilen, vorlesen, diskutieren. Das setzte aber eine gewisse technische Ausstattung voraus und war bei Handynutzung wohl auch recht teuer, zu viel Datenverbrauch. Die üblichen Südcafé-Besuchenden waren nicht dabei. Wir hatten eine neue Zielgruppe, die unseren Link fröhlich teilte. Menschen aus der Türkei, die Erdogans Politik nicht unterstützten und hier in Deutschland für die Arbeitserlaubnis Deutsch lernen wollten. Vor allem Ärzt*innen waren dabei. Wir diskutierten über alles, Zeitungsartikel, Grammatik, Corona. Und wir lernten, dass solche Online-Formate Regeln brauchen und jemanden, der sie durchsetzt. Vor allem Redezeiten sind einzuhalten.
Besonders gerne erinnere ich mich an Jette, die aus Hamburg nach Leipzig gezogen war, vor dem Studium noch etwas Zeit hatte und dem Südcafé helfen wollte. Mit Energie und Freude leitete sie solche Online-Gespräche, machte sich zu Spaziergängen auf. Und wir starteten zusammen den Südcafé-Instagram-Account. Wie stellt man Südcafé dar, ohne dass Südcafé stattfindet? Tassen mit dem Südcafé-Logo erlebten manche Abenteuer ...
Am Ende war unsere große Sorge, dass nach dieser langen Pause ohne Begegnungen, ohne zwanglose Treffen bei Kaffee und Tee, die Zeit des Südcafés vorbei sein könnte.
So war es zum Glück nicht. Das Südcafé kann sich an neue Bedingungen anpassen, kann seinen Ort ändern, es können wenige Menschen kommen oder sehr viele. Es bleibt ein Ort der Begegnung, der Offenheit für andere Menschen. Ein Ort, der wirklich Freude macht, wenn man dabei sein kann. Die Begegnungen mit Menschen aus aller Welt sind bereichernd, interessant wie Weltreisen in ganz kurzer Zeit.
Ich wünsche dem Südcafé noch viele Jahre Zeit für Begegnungen und Gespräche, offenen Austausch, Hilfe im Alltag! Macht einfach weiter so mit den nötigen Anpassungen an die vorhandenen Möglichkeiten. Es wird immer Möglichkeiten für wunderbare interkulturelle Begegnungen geben.
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[lt] Annegret Jopp war von 2015 bis 2023 im Südcafé tätig und übernahm dabei die Leitung dieses Ortes. [gt]
PDF zum Download: "Von Anpassungen und Möglichkeiten – das Südcafé im Lockdown" von Annegret Jopp
03_Von Anpassungen und Möglichkeiten – das Südcafé im Lockdown _ Annegret Jopp.pdf
Februar 2025
Ein Ort des Zusammenkommens – meine Zeit mit dem Südcafé von Mahmoud Abdulrazzak
Mein Name ist Mahmoud, ich bin Sozialarbeiter und lebe seit 2016 in Leipzig. Seitdem ich in Leipzig lebe, gehe ich regelmäßig ins Südcafé. Es ist quasi ein fester Bestandteil meines Lebens. Damals kam ich zum ersten Mal als Gast, voller Neugier, aber auch mit einer gewissen Unsicherheit. Ich hatte selbst Fluchterfahrung und suchte einen Ort, an dem ich ankommen konnte – nicht nur räumlich, sondern auch menschlich.
Im Südcafé habe ich genau diesen Ort gefunden. Es war von Anfang an mehr als ein Café. Es war ein Raum der Offenheit, in dem ich Menschen kennenlernen konnte, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, aber auch Menschen, die mit offenen Herzen und einer großen Bereitschaft zu helfen dort waren. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir, wie ich dort die ersten Schritte in der deutschen Sprache gemacht habe. Anfangs saß ich oft still da, beobachtete und hörte zu, wie sich die anderen unterhielten, doch mit der Zeit wurde ich mutiger. Mit der Unterstützung von Ehrenamtlichen und anderen Gästen konnte ich mein Deutsch verbessern, und aus anfänglichem Zuhören wurde Teilnehmen – erst an Gesprächen und später an der Gemeinschaft.
Was mich besonders berührt hat, ist die Atmosphäre im Südcafé. Egal, wer du bist oder woher du kommst, du wirst angenommen. Ich habe so viele schöne Momente erlebt, von herzlichen Begrüßungen über ermutigende Gespräche bis hin zu kleinen Gesten, die zeigen, dass hier niemand allein ist. Eine Szene werde ich nie vergessen: Ein älterer Herr, der selbst schon lange Teil des Südcafés war, nahm sich so viel Zeit, um mir meine Hausaufgabe für den Deutschkurs zu erklären, die ich nicht verstand. Er tat das mit so viel Geduld und Wärme, dass ich mich direkt wohl und willkommen fühlte.
Mit der Zeit wurde ich nicht nur Teil der Gemeinschaft, sondern wollte selbst etwas zurückgeben. So begann ich, ehrenamtlich mitzuarbeiten, und heute bin ich stolz darauf, auch als Mitglied im Beirat des Südcafés mitzuwirken. Es ist ein wunderbares Gefühl, nicht nur von der Gemeinschaft zu profitieren, sondern auch aktiv daran teilzuhaben, dass das Südcafé für andere genauso ein Ort der Unterstützung und der Begegnung sein kann, wie es das für mich war.
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums möchte ich dem gesamten Team und allen Beteiligten danken. Das Südcafé ist ein einzigartiger Ort, der Menschen zusammenbringt, die sich sonst vielleicht nie begegnet wären. Es ist ein Raum, in dem wir alle voneinander lernen und gemeinsam wachsen können.
Für mich persönlich ist das Südcafé nicht nur ein Ort der Begegnung, sondern ein Ort des Ankommens. Hier habe ich nicht nur viele Kulturen kennengelernt und eine Sprache gelernt, sondern auch Freundschaften geschlossen – fernab von dem Ort, den ich verlassen musste. Ich freue mich darauf, auch in den kommenden Jahren Teil dieser wunderbaren Gemeinschaft zu sein.
Herzlichen Glückwunsch, liebes Südcafé, zu deinem zehnjährigen Bestehen – und danke für alles, was du mir und so vielen anderen gegeben hast.
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[lt] Mahmoud Abdulrazzak[nbsp] ist Sozialarbeiter und Mitglied im Beirat des Südcafés. [gt]
PDF zum Download: "Ein Ort des Zusammenkommens – meine Zeit mit dem Südcafé" von Mahmoud Abdulrazzak
02_Ein Ort des Zusammenkommens – meine Zeit mit dem Südcafe_Mahmoud_Abdulrazzak.pdf
Januar 2025
Erinnerungen an die Anfänge des Südcafés von Pfr. Christoph Maier
Immer wieder hörten wir das in Pfarrkonventen oder im Gespräch mit kirchenleitenden Personen: „Da kommt was auf uns zu!“ Gemeint war eine größere Flüchtlingsbewegung, die dann auch tatsächlich 2015 in einem bisher nicht mehr da gewesenen Ausmaß bewältigt werden musste. Aber wir waren vorbereitet. In Stadtteilversammlungen wurde die Bevölkerung informiert und eingeladen mitzumachen. Es war eine Aufbruchstimmung zu spüren. Die Zivilgesellschaft war da und hellwach. „Wir schaffen das“ traf auch unsere Stimmungslage damals und es machte mich stolz, zu sehen, was wir tatsächlich miteinander schaffen konnten.
Gemeinsam mit der Andreasgemeinde gab es erste Beratungen. Schnell war klar, dass wir einen Ort der Begegnung und der Integration anbieten wollten. Die Idee des Südcafé war geboren. Das Gemeindehaus der Andreasgemeinde sollte ursprünglich die Heimstatt dieses Angebotes werden. Doch kurz bevor es losgehen sollte, sorgte ein Wasserschaden für den Totalausfall. Ein Gemeindeglied der Bethlehemgemeinde bot ihre Büroräume als Ersatz an und so öffnete das Südcafé in den Räumen der Korax-Akademie von Familie Latussek in der Schletterstraße am 27. Oktober 2015 das erste Mal seine Tore. Schon bald wurden diese Räume zu klein für die große Schar der Gäste und Ehrenamtlichen. Nach Gesprächen mit dem Evangelischen Schulzentrum konnte nun die direkt gegenüber liegende Mensa für das Projekt genutzt werden, die bis heute der Anlaufpunkt für das Südcafé ist.
Der Aufbau von Strukturen, einer Projektförderung, eine Stelle im Bundesfreiwilligendienst und die Deklaration zum kirchlichen Ort durch die Kirchenvorstände folgten. Ohne die zuverlässige Förderung des Projekts durch die Landeskirche und die Stadt Leipzig wäre eine Festigung und Weiterentwicklung des Konzepts nicht möglich gewesen. Wichtig war auch, dass der Kirchenbezirk mit Ramona Baldermann und der Ökumenischen Flüchtlingshilfe ein Netzwerk in die Stadt und Landeskirche schuf und so wichtige Lobbyarbeit und ganz praktische Unterstützung leisten konnte. Vom ersten Tag dabei auch Annegret Jopp, die nicht nur über lange Zeit zur guten Seele und späteren Leiterin des Projekts wurde, sondern deren Geduld und Beharrlichkeit einen wesentlichen Beitrag zur Beständigkeit des Südcafés leistete.
Wenn ich an diese Anfangsphase zurückdenke, dann staune ich, welche gesellschaftliche Kraft und Energie sich dort in so positiver Weise entfalten konnte. Und ich staune über den langen Atem, den das Südcafé bis heute bewiesen hat. Das wird auch in Zukunft wichtig bleiben und mit neuen politischen Vorzeichen noch wichtiger werden. Wieder ist die Migration zu einem Top-Thema geworden. Aber nicht mehr die Aufnahmebereitschaft und das nach wie vor starke Engagement der Zivilgesellschaft steht im Vordergrund, sondern die Fragen nach Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung. Das sind ohne Frage wichtige Themen, auf die Politik – vor allem im europäischen Rahmen – menschenwürdige und praktikable Antworten finden muss.
Die kirchliche Stimme muss hier immer wieder zu einer differenzierteren Betrachtung der Fragen beitragen* und darf nicht müde werden, an den Zusammenhang von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu erinnern. Die Klimakrise geht nicht weg, wenn wir die Grenzen dicht machen und auch die Anfragen an unseren unersättlichen Lebensstil, den sich diese eine Erde nicht leisten kann, lässt sich nicht mit Stacheldraht beruhigen. So bleibt das Thema Migration auf der Tagesordnung. Menschen fliehen vor Krieg und Gewalt oder sie wollen für sich das Recht auf Asyl in Anspruch nehmen. Schutz und Asyl sind unverhandelbare Grundlagen unserer Rechtsordnung. Aber auch anders motivierte Migrations- und Wanderungsbewegungen gab es schon immer.
Wer schwierigen Lebensbedingungen mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und ein Stück Gerechtigkeit entkommen will, ist kein schlechter Mensch. Daran erinnert die Bibel, wenn es im zweiten Mosebuch (Exodus 22,20) heißt: „Darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.“
*vgl. dazu zum Beispiel das gemeinsame Wort von EKD und Deutscher Bischofskonferenz „Migration Menschenwürdig gestalten“ von 2021 (https://www.ekd.de/migration-menschenwuerdig-gestalten-68831.htm)
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[lt] Christoph Maier ist Direktor der Evangelischen Akademie in Wittenberg und war bis 2020 Pfarrer der Bethlehemgemeinde im Leipziger Süden. [gt]