Impuls
Alles, was ihr tut geschehe in Liebe.
Das ist die Jahreslosung für 2024 aus dem 1. Korintherbrief (1. Korinther 16,14)
Ein Appell ist das, ein Aufruf, ein bisschen auch ein Alarmzeichen, denn: mit der Liebe untereinander hatten die Korinther es nicht so - gerade deshalb schreibt Paulus ihnen ja ins Stammbuch, was Liebe ist und wie sie sich gibt und wie sie sich auswirkt. Sie sind eher darauf bedacht, einander zu übertreffen in geistig-geistlichen Höhenflügen! Mir scheint: diese Gemeinde hatte etwas von einem Haifischbecken – da herrschte offenbar nicht wirklich der Geist der Liebe sondern der Geist des Vergleichens und der Konkurrenz.
Und bei uns? Heute möchte ich mal nicht Defizite aufdecken oder Lieblosigkeiten ansprechen. Heute möchte ich Spuren der Liebe nachgehen, wie ich sie wahrgenommen habe in letzter Zeit.
Ich denke an den Seniorenkreis – wie liebevoll wird jedes Mal der Tisch gedeckt für die Besucherinnen und Besucher ohne Aufhebens darum zu machen. Gute Sachen gibt es da! Kein Wunder, dass die Gäste sich wohlfühlen und gerne kommen! Kranke werden nicht vergessen, Einsame besucht… wenn das nicht Liebe ist!
Ich denke an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Besuchsdienst: Da kann es sein, dass eine Mitarbeiterin manchmal schon im 3. Oder 4. Jahr eine Person besucht und bei so einem Besuch regelmäßig mit bitteren Klagen überhäuft wird - das ist keine Freude – ist es nicht Liebe, die einen trotzdem durchhalten lässt – immer wieder hingehen und doch auch spüren: es ist gut, dass ich da bin – trotz allem. Pflichterfüllung ist auch dabei, auch Disziplin – das hilft der Liebe manchmal auf die Beine.
Ich denke an den Kindergarten – da ist ein Kind, das sich schwer von den Eltern trennt – wie liebevoll nehmen die Erzieherinnen es mit hinein – eine kleine Geste wie die: einfach mal sacht die Hand auf den Rücken legen – kann da viel bedeuten – Mir sagt das: die Kinder sind hier gut aufgehoben.
Manchmal erlebe ich da auch, wie ein größeres Kind ein kleineres „mentoriert“ – also es an der Hand nimmt, begleitet, bis es selbst selbständiger wird und mutiger – soll ich nicht Liebe dazu sagen?
Ich denke an die KonfirmandInnen – nicht gerade das einfachste Alter – für die Jugendlichen selbst und für ihre Begleiterinnen und Begleiter auch. Im Advent haben wir einen Besuch gemacht im Altenheim. Wir haben mit und für die alten Menschen gesungen, Geschichten vorgelesen, kleine Päckchen überreicht. Es war berührend, wie liebevoll und wie respektvoll die Jugendlichen auf die älteren Menschen zugegangen sind. Wieviel die jungen Menschen in der kurzen Zeit auch mitbekommen haben vom Erleben der -Alten, von ihren Einschränkungen und von ihren Bedürfnissen – Liebe – ja doch – oder etwa nicht?
Ein paar Beispiele nur, wie ich sie erzählen kann aus den Bereichen, in denen ich unterwegs bin. Beispiele, die mir Mut machen einfach damit anzufangen:
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!
Die Liebe, von der hier die Rede ist, ist eher eine Haltung als ein Gefühl; zu einem Gefühl kann man nicht auffordern. Eine Haltung lässt sich womöglich einüben: vom andern her denken, auf ihn oder sie achten.
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Mir hilft die Vorstellung: die Gemeinde ist ein Raum, in dem ein guter Geist herrscht – nicht nur aber auch - der Geist der Liebe, der von Christus ausgeht. Wer sich in diesem Raum bewegt, der müsste etwas davon merken. Sogar Kinder spüren das, was für ein Geist herrscht in einem Raum. Idealerweise ist der Raum der Gemeinde das Gegenteil von einem Haifischbecken – weil Gottes Geist, der Geist Jesu, den Raum erfüllt.
Deshalb mündet meine kleine Andacht in der Bitte:
Komm, heilger Geist mit deiner Kraft, die uns verbindet und Leben schafft.
Ein gutes, gesegnetes liebevolles Jahr 2024 wünscht Ihnen Ihre Pfarrerin Ruth Alber
Gleichzeitigkeit
Wir leben mit vielen Krisen.
Und trotzdem feiern wir.
Denn ja, auch die Weihnachtsgeschichte
begab sich zu einer Zeit,
als die Sehnsucht nach Frieden riesig groß war.
Nach Gerechtigkeit.
Ausgleich, Trost und Güte.
Damals erließ der erste römische Kaiser
einen Volkszählungssteuerbescheid.
Immer schon diese Gleichzeitigkeit.
Düster, Grausam-, Hoffnungslosigkeit.
Schnitt.
Plötzlich Sterne. Funken.
Lichter himmelweit.
Schnitt.
Ganz gemeines Leid.
Menschen auf der Flucht.
Nach Bethlehem. Ein Paar, zu zweit.
Schnitt.
Guter Hoffnung. Geburt.
Zu dritt. Ein Baby. Gott geweiht.
Schnitt.
Kein Platz. Gewalt. Kontrolle. Neid.
Schnitt
Lauter Schnitte.
Und Verbundenheit – der krassen Gegensätze.
Himmel grüßt die Erde.
Wort wird wahrhaftig Mensch.
Mit Haut und Haaren,
Lungenflügeln, großem Herzen.
Ein Neugeborenes übernimmt.
Bruder Mensch aus Liebe.
Befreit. Seligkeit.
Nacht wird Weihnacht,
Dämmerung und früher Morgen.
Vom Stall zu Herden.
Und zu Trümmern.
Große Fragen und ein Lied
von Glanz und Gloria.
So viel Ungereimtes und alte Zeilen zum Geleit.
„Wer weiß,
ob nicht der Schnee von gestern
morgen fällt?!
Wer weiß,
ob nicht der Kinderglaube
das letzte Wort behält?!“
Eva Zeller
Gleichzeitigkeit.
Immer schon.
Gegensätze, Widersprüche,
Schnitte und Wunden.
Verbundenheit.
Große Krisen, Krieg.
Weltjahres-Dankbarkeit.
Wir. Traurig und bedrückt.
Dann wieder glücklich.
Mal verzweifelt.
Dann zuversichtlich.
Alles auf einmal.
Und alles angemessen.
Weihnachten wirkt manchmal
irgendwie unpassend.
Kommt aber vielleicht auch
gerade rechtzeitig.
aus: Christina Brudereck, Weltjahresbestzeit, 2Flügel Verlag, Essen 2023
Stille und Staunen
Vor kurzem sah ich die Werbung einer großen Supermarktkette: »Lasst uns froh und günstig sein«, stand auf dem großen Plakat über den lächelnden Schokoweihnachtsmännern. Ein paar Tage später las ich eine entgegengesetzte Meldung. Da wurde berichtet, dass die Tannenbäume leider auch in Sachsen dieses Jahr teurer werden.
»Ist es das, was uns von Weihnachten geblieben ist?«, fragte ich mich. Dass wir möglichst günstig durch den Advent kommen? Manchmal könnte der Eindruck entstehen, dass wir vor allem über zwei Dinge staunen: über die überraschend hohen oder über die überraschend tiefen Preise. Und über das Kind in der Krippe?
Wann haben wir darüber das letzte Mal gestaunt? Oder ist das für uns längst normal geworden? Dabei gibt es so viel Besonderes, Unerhörtes und Außergewöhnliches am Weihnachtsgeschehen und in der Adventszeit zu entdecken. Mach dich doch mal auf die Suche. Stelle Fragen.
Gönn dir stille Zeiten im Advent. Lass dich neu vom Kind in der Krippe berühren und vor allem: Verlerne das Staunen nicht.
September 2023
In den vergangenen und kommenden Wochen fanden und finden in unseren Kirchen die Erntedankgottesdienste statt. Obwohl die meisten von uns keine eigene Landwirtschaft mehr betreiben ist es passender Zeitpunkt dankbar zu sein, für die reichliche Versorgung mit allem, was wir zum Leben brauchen. Als Spruch für die Woche nach dem Erntedankfest sind Worte des Königs David aus dem Psalm 145 ausgewählt:
»Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.« Ps 145,15
Mich erschreckt dieses Lob und es fühlt sich sperrig an. Was ist mit denen, die Hungern, weil Kriege, Naturkatastrophen und Klimawandel die Ernte zerstört haben? Nicht nur in einem Jahr, sondern schon das zweite oder dritte in Folge. Und was ist mit denen, die bei den stark gestiegenen Preisen der letzten Monate, noch weniger im Einkaufskorb haben? Monat für Monat schwinden noch vorhandene Rücklagen und Möglichkeiten sich weiter einzuschränken gehen langsam aus. Hoffnungslose Situationen.
Der Blick in unsere Welt will für mich nicht so recht zu diesem großen Lob Gottes passen. Die Vorstellung, dass Gott eben einigen Menschen auf Erden ihre Speise verwehrt, ist für mich unerhört. Das kann und das will ich nicht glauben. So ist mein Gott nicht! Und dennoch sterben täglich Menschen jeden Alters an Unterernährung. Diesen Widerspruch zu sehen lässt mich zweifeln. Am Guten in dieser Welt, an uns Menschen und manchmal auch ein wenig an Gottes Allmacht.
Und dennoch will ich darauf vertrauen, dass Gottes Wille in eine gerechtere Zukunft führt. Nicht um mich selbst zu beruhigen, weil ich in einem vergleichsweise reichen Land lebe, sondern weil ich Gottes Wirken in aussichtslosen Situationen schon selbst erlebt habe. Das Gute fällt jedoch nicht einfach so vom Himmel, es braucht Menschen – wie Sie und mich, die danach streben. Gut(e)Menschen eben, die von sich selbst weg und auf andere schauen; die teilen was sie haben, egal ob viel oder wenig und Menschen, die ihren Dank für die eigene gute Versorgung zum Anlass nehmen andere daran Anteil haben zu lassen.
Jeder herrlich geschmückte Altarraum in unseren Kirchen mit gespendeten Erntegaben zeugt von einer Dankbarkeit, die nicht bei sich selbst stehen bleibt, sondern teilen will. Es zeugt von Menschen, die wissen, dass es ihnen vergleichsweise gut geht und die gerne geben. Wo Gottes gute Nachricht jemanden ergreift verändert es den Menschen, es ermutigt eine gerechtere Welt zu wollen, den Nächsten zu lieben und dankbar über Gottes Wirken zu sein.
Das versöhnt mich nun doch etwas mit dem Lob des Psalms 145, denn wer seine Augen auf den Herrn richtet, kann vor dem Unrecht der Welt nicht die Augen verschließen. Wen auch Gottes Wort nährt, der wird auch von der irdischen Speise abgeben damit eines Tages alle satt werden.
Nicole Bärwald-Wohlfarth
Wie riecht Heimat?
Welcher Geruch steigt Ihnen in die Nase, wenn Sie an Heimat denken?
Frisch geschlagenes Holz. Feuchter Waldboden in der Abendsonne. Abgeerntete Felder. Die Brauerei oder Klärgrube in der Nachbarschaft. Brötchenduft aus Opas Bäckerei…
Machen Sie sich einmal die Mühe und fragen Sie sich selbst. Und fragen Sie andere nach dem Geruch von Heimat! Es wird überraschend und vielleicht sogar berührend sein, was diese Frage auslöst und was passiert, wenn wir versuchen, mit einem Geruch unsere Sehnsucht nach etwas zu beschreiben, was so schwer zu fassen ist. Denn Heimat – was ist das überhaupt? Der Ort, an dem wir aufgewachsen sind? Unsere Familie? Die Kultur, in die wir hineingeboren worden sind?
Wenn Heimat vor allem unser Herkunftsort oder unsere Wohnstätte ist, dann fällt auf, wie schnell man diese Heimat auch verlieren kann. Weltweit sind unzählige Menschen auf der Flucht. So viele, denen nur noch die Erinnerung an Heimatgerüche bleibt. Andere Aromen überlagern für immer ihren Heimatduft: Verbrannte Erde. Benzingestank. Rauch und die Verwesung des Krieges und der Zerstörung. Sie suchen und brauchen eine neue Heimat. Doch sie werden nur zu oft davon abgehalten. Weil sich hier niemand die Heimat wegnehmen lassen will. Weil die Angst so groß ist, dass Brezel- und Bratwurstduft von anderen fremden Duftnoten überlagert werden könnten.
Wenn es um Heimat geht, sind wir verletzlich, so viel steht fest. Denn Heimat – das heißt einen Ort zu haben, an dem wir uns geborgen und zuhause fühlen. An dem wir sein dürfen, wie wir sind. Geliebt und angesehen. Heimat heißt, eine Identität zu haben, irgendwo dazuzugehören.
In der Bibel kommt das Wort »Heimat« kaum vor. Und doch spielt es immer wieder in unterschiedlichen Geschichten eine Rolle. Schon zu Beginn müssen Adam und Eva ihre Heimat, den Paradiesgarten, verlassen, um ein neues Zuhause in der Welt zu finden. Und so geht es weiter mit Noah auf der Arche, Abraham, Isaak, Jakob, Mose…das Gottesvolk ist von Anfang an unterwegs auf der Suche nach einem Zuhause. Die Erfahrung, immer wieder fremd zu sein, hat zum einen zu einer respektvollen Haltung gegenüber Fremden in der Bibel geführt: »Einen Fremdling sollst du nicht bedrücken und bedrängen; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen« (2. Mose 22,20). Zum anderen verdeutlichen die biblischen Geschichten immer wieder, dass auch der Glaube an Gott zu einer Heimat werden kann. Gott als ein Zufluchtsort, der bleibt, wenn alle anderen Lebenskonstanten wanken. Gott als ein Schutzraum, der über unser irdisches Dasein hinausweist: »Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel« (2. Korinther 5,1).
Unsere Glaubensheimat verbindet uns Christ*innen miteinander und lässt uns in den Gemeinden neue Heimatorte für Menschen stiften. Orte voller Gemeinschaft. Orte, die nach zuhause duften, gerade für die, die ihre Heimat verloren haben – so träume ich mir Kirche!
Vikarin Charlotte Kalmakhelidze
Inspiriert zu dieser Andacht wurde ich u. a. von dem Artikel »Sehnsucht nach dem Paradies« www.ekhn.de/glaube/ glaube-leben/bibel/heimat-in-der-bibel.html
Alles neu macht der Mai
Liebe Leser*innen,
können Sie sich noch daran erinnern, wie es war, als Sie das letzte Mal etwas Neues ausgepackt oder ausprobiert haben? Ich weiß noch genau, wie ich als ca. 10-jähriges Kind stolz wie ein König auf der Rückbank mitgefahren bin, als mein Vater vor ca. 30 Jahren unser damals neues Auto Probe gefahren ist. Der Auto-Händler saß auf dem Beifahrersitz und wies auf die Besonderheiten hin, u.a. zwei Rückbänke und für mich damals besonders faszinierend ein kleines Fach für Münzgeld, auf dem in spielerischer Übertreibung ein kleiner Geldsack abgebildet war.
Kein besonders umweltbewusstes Beispiel, das ist mir klar. Überhaupt haben wir in den letzten Jahren Gott sei Dank ein Bewusstsein dafür entwickelt, Gegenstände wiederzuverwerten und dadurch Müll, Rohstoffe und CO2 zu sparen.
Trotzdem, dieses Gefühl war toll und ich liebe es bis heute Neues zu entdecken. Es können ja auch neue Rezepte oder neue Wanderwege sein.
Das Frühlingslied „Alles neu macht der Mai“ weist darauf hin, dass die Natur im Frühling zu neuem Leben erwacht. Eigentlich nicht erst im Mai, sondern schon früher, aber im Mai sind die Düfte und die Töne und die Farben besonders intensiv und laden uns ein, von ihrer Energie zu kosten oder uns ganz schlicht an ihnen zu erfreuen.
Sie stehen stellvertretend für Gottes Schöpferkraft und Kreativität, die in der Bibel mit den schönen Worten beschrieben werden: »Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf. Erkennt ihr es denn nicht?« (Jesaja 43,19)
In diesem Frühjahr freue ich mich aber nicht nur über das Neue, das in der Natur wächst und blüht, sondern auch über die neuen Räume, die in diesen Wochen in der Bethlehemgemeinde Gestalt gewinnen. Nach jahrelanger Planung und monatelanger Arbeit stehen wir jetzt kurz vor der Vollendung der Sanierungsarbeiten im Erdgeschoss, im Außengelände sind die Arbeiten so gut wie abgeschlossen.
Es ist eine Freude, durch die neuen Räume zu gehen, die Möbel riechen noch nach Holz, die Farben an den Wänden sind noch frisch – und besonders schön ist der neue Durchblick vom Haupteingang durch die geöffneten Türen des Lutherraums bis ins Gartenzimmer. Noch im Mai sollen die Gruppen und Kreise wieder in ihre alten, neuen Räume zurückkehren – und dann wird es auch in unserem Gemeindehaus ein Frühlingserwachen geben.
Pfr. Dr. Gerhard Bergner
Nachösterliches zur Emmausgeschichte – Lukas 24, 13–35
Zwei gingen in ein Dorf. Und sie redeten von all diesen Geschichten:
Das mit Jesus von Nazareth…zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt…hofften er sei es…bei dem Grab, seinen Leib nicht gefunden…die Frauen… ihn sahen sie nicht.
Erstauntes Flüstern. Und viele Fragen: Ist es wahr? Wie kann das sein?
Fragen, die bis in unser heute dringen. Das mit Jesus von Nazareth. Davon hören wir. Davon reden wir immer wieder, ganz besonders jetzt an Ostern. Zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt. Und dann, bei dem Grab, wird sein Leib nicht gefunden, die Frauen sehen ihn nicht. Nur Engel sind da. Sie sagen: Jesus lebt.
Jesus lebt? Aber wie kann das sein? Und wo ist er?
In seinem Roman „Das Evangelium nach Pilatus“, einer modernen Passionsgeschichte, schreibt der französische Autor Eric Emmanuel Schmitt dazu: „Das ist das Brutale am Christentum: Nach dem Verschwinden Christi ist die Offenbarung zu Ende. Er ist die Offenbarung. Danach offenbart sie sich nicht mehr direkt. Sie bedarf der Vermittlung durch Texte, durch Menschen, die diese Texte schreiben, kopieren, deuten, kommentieren. Das Christentum fordert ein doppeltes Vertrauen: das Vertrauen in Gott und in den Menschen.“ [1]
Ich verstehe Eric Emmanuel Schmitt so, dass er das Christentum schonungslos anspruchsvoll und auch anstrengend für den Menschen findet. Auch wenn das eine drastische Formulierung ist, das Christentum als „brutal“ zu bezeichnen, drückt er meines Erachtens nach ziemlich genau das aus, was es uns heute und schon den beiden Männern auf dem Weg nach Emmaus immer wieder so schwer macht am Glauben festzuhalten: Jesus war da und verschwand. Jesus ist da und entzieht sich doch immer wieder unserer Wahrnehmung. Wir brauchen deshalb dieses doppelte Vertrauen: Nicht „nur“ auf Gott. Wir Christ*innen müssen auch gegenseitig auf unsere Glaubenszeugnisse vertrauen. Auf die ersten Zeugnisse, die biblisch festgehalten worden sind. Auf das, was wir mit und durch Gott, mit und durch Jesus Christus erleben. Und das innerhalb und außerhalb unserer eigenen christlichen Gemeinde bzw. innerhalb und außerhalb der evangelischen Konfession. Das dies nicht immer gelingt, wissen wir alle. Wer hat Recht in Glaubensdingen? Und wie können wir das überhaupt beurteilen, wenn wir Jesus Christus eben nicht mehr direkt fragen können?
Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber ich verstehe die beiden Freunde Jesu, die da unterwegs sind und dem Fremden, der sie plötzlich anspricht, nicht gleich Vertrauen schenken. Einem Fremden, der angeblich nichts gehört hat von diesem Jesus aus Nazareth und dann aber sofort anfängt, die Schrift und die Propheten auszulegen. Ich wäre da misstrauisch. Und dazu hielt ja die Trauer den beiden Männern noch die Augen zu. Sie sind noch traumatisiert von der Kreuzigung. Ihre Seele konnte noch gar nicht richtig nachkommen. Drei Tage – das ist doch nichts, kein Zeitraum, um über so ein Ereignis hinwegzukommen! Wie können sie da schon die Auferstehung feiern, auch nur annähernd begreifen?
Die beiden Männer brauchen einen intimen Moment mit ihrem Freund Jesus, um ihn wirklich zu erkennen. Und der ergibt sich später in der Herberge. Beim Essen, als Jesus das Brot teilt wie am letzten Abend vor seinem Tod erkennen sie ihn. Und auch wenn er dann wieder verschwindet, überlegen sie in der Rückschau: Schon als er mit uns auf dem Weg redete und noch ein Fremder war, da setzte er mit seiner sanften Stimme, seiner Ruhe und Zuwendung, seinem Interesse für unsere Traurigkeit und seinen Erklärungen zur Schrift unsere Herzen in Brand. 32Sie sagten zueinander :»Brannte unser Herz nicht vor Begeisterung, als er unterwegs mit uns redete und uns die Heilige Schrift erklärte?«
Ich glaube, wir Menschen brauchen genau diese Momente der Nähe mit Gott, damit wir glauben können. Auch wenn die Bibel ja voll ist mit diesen den Menschen anklagenden Sätzen wie auch in dieser Perikope Jesus in den Mund gelegt: »Warum seid ihr so begriffsstutzig? Warum fällt es euch so schwer zu glauben, was die Propheten gesagt haben?“ Jesus hat sich, geht man den Evangelien nach, ja regelmäßig über die Ungläubigkeit seiner Freund*innen geärgert. Wunder. Heilungen. Über das Wasser gehen. Nun die Auferstehung – und das leere Grab reicht immer noch nicht. Jesus muss sich wieder zeigen, vielleicht kennen Sie auch die Geschichte von Thomas, der seine Finger in die Wunden der Kreuzigung legen wollte, wie das Johannesevangelium erzählt. Warum brauchen Menschen immer sichtbare, erfahrbare Zeichen, um etwas zu glauben. Meiner Meinung nach geht es gar nicht so sehr um rationale Beweise. Es geht um die sinnliche Erfahrung, dass es das gibt: Auferstehung. Neuanfang. Ein Leben, das über den Tod hinaus geht. Und auch wenn es in der Bibel manchmal so klingt, als müssten wir Menschen das einfach so können mit dem Glauben, dann ist das ein Trugschluss. Ich denke, wir Menschen dürfen genau das gegenüber Gott stark machen: Gott, wir Menschen möchten dir begegnen. Wir möchten nicht nur von dir Hören oder Lesen oder Reden. Wir möchten erleben, dass du wirklich da bist! Dass unsere Herzen in Brand geraten vor Begeisterung, wie bei den beiden Freunden unterwegs. Wann und wie können wir fühlen, dass das wahr ist mit der Auferstehung und dem Neuen Leben?
Am Karfreitag machte ich einen Spaziergang. Mein Sohn schlummerte – endlich! – im Kinderwagen und wir gingen eine Runde über den Friedhof, der sehr nahe an unserer Wohnung liegt. Es hat mich sehr berührt, wie viele Menschen zu den Gräbern kamen. Mit Lichtern. Tulpensträußen. Mit kleinen Schaufeln und Blumentöpfen. Auf einer Bank in der Sonne eine Familie. Die Kinder lachten, hatten schon ein Körbchen mit Schokoladeneiern dabei. Die Eltern hielten sich an den Händen, vor ihnen ein Grab, ein ziemlich Kleines. Ein buntes Windrad drehte sich. Daneben das Kreuz.
Ich sah und fühlte: Tiefen Schmerz. Eine unheilbare Wunde. Die Dunkelheit der Trauer. Aber auch Demut. Hoffnung. Lebensfreude dem Tod zum Trotz. Alles war gleichzeitig in dieser einen Szene. Ich spürte dem lange nach, fühlte mich den Menschen nahe und irgendwie auch Gott, der, da war ich mir sicher, mit auf dieser Bank in der Sonne saß, tröstete und mit den Kindern lachte. Gott, durch die die Toten bei uns bleiben und weiterleben, ewig.
Wann und wie können wir fühlen, dass das wahr ist mit der Auferstehung und dem Neuen Leben? Vielleicht so. Bruchstückhaft. Ganz plötzlich und intensiv in einem Alltagsmoment.
Vielleicht jetzt gleich, wenn wir Gemeinschaft haben in der Feier des Abendmahls. Brot und Wein Teilen. Einander die Hände reichen. Einander in die Augen schauen. Dann ist Jesus mitten unter uns. Und dann finden wir vielleicht die Kraft und den Mut es wie die beiden Freunde zu machen, die dann zurückgingen in die große Stadt und sagen konnten: Er ist wirklich auferstanden! Vielleicht brauchen wir dafür mehr Zeit. Länger als drei Tage. Ein ganzes Leben und sogar länger. Aber diese Zeit haben wir. Diese Zeit wurde uns geschenkt von einem Gott, der über den Tod triumphiert. Von einem Gott, der mit uns durch Tiefen und Höhen geht. Neben uns sitzt auf der Bank am Grab und die Hand hält. Weint und tröstet. Mit uns lacht und feiert. Das Brot und den Wein mit uns teilt. Mit uns hofft und lebt. Den ja, er ist wirklich auferstanden.
Vikarin Charlotte Kalmakhelidze
[1] Schmitt, Das Evangelium nach Pilatus, S. 285.
März 2023
In meinem Kleingarten ist der Frühling schon angebrochen. Die Schneeglöckchen und Winterlinge in voller Blüte, Krokusse und Narzissen stehen in den Startlöchern und färben das triste Wintergrau bald in strahlende Vielfalt.
Auch an Bäumen und Sträuchern sind erste Spuren zu sehen, die Knospen von Forsythie und Kirschen schwellen an und manchmal blinzelt darunter schon die Blüte hindurch. Da will sich eine unglaubliche Kraft Bahn brechen. Unaufhaltsam wird sie stärker und stärker und verwandelt dann binnen Tagen unsere Welt.
Diese Kraft der Schöpfung wünsche ich mir manchmal auch für die großen und kleinen Probleme und Belastungen dieser Erde. So wie das sprichwörtliche Tauwetter im Kalten Krieg Unmögliches, möglich werden ließ, könnte doch auch jetzt die schwere feste Decke der Gewalt und des Leids in der Ukraine, in Mali und Syrien wie von einem Löwenzahn durchbrochen werden und Platz für gutes, friedliches und blühendes Leben machen. Aber hier scheint Gottes Schöpferkraft auf sich warten zu lassen.
Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.
Jeremia 29,11
Die Sorge um unsere Welt haben auch die Kinder während der Kinderbibeltage beschäftigt, in der wir über den Propheten Jeremia gesprochen haben. Der Wunsch nach Frieden, einem verantwortungsbewussten Umgang mit unserer Erde und vieles mehr haben sie auf die selbstgebastelten Mandelblüten geschrieben. So haben sie mit ihren Hoffnungen die noch kahlen Zweige zum Erblühen gebracht. Eine Hoffnung, die aufblüht und aufscheint, noch bevor es eigentlich an der Zeit ist.
Diese Hoffnung ist auch die schöpferische Kraft, die in Gott entspringt, der uns versprochen hat, da zu sein und uns nicht auf irgendwann hin zu vertrösten. Die Hoffnung auf eine friedliche und gewaltlose, sichere und gesunde Welt, in der Menschen nicht hungern oder frieren müssen, ist schon da. Wie die erste Saat im Gartenjahr ist sie in uns gesät und wartet nur darauf aufzubrechen und auszutreiben und die Welt um uns herum zu verändern. Dass sich Menschen auf dem ganzen Planeten für Umweltschutz, Frieden und Bildung einsetzen sind die ersten zarten Triebe dieser immer kräftiger werdenden Pflanze Hoffnung – und sie wird wachsen und gedeihen mit jeder unserer Taten auf diesem Weg.
Vikarin Nicole Bärwald-Wohlfarth
Januarimpuls
„Gibt es Schutzengel?“
So fragte mich ein Junge kürzlich im Kindergarten, als ich dort im Morgenkreis zu Besuch war. Eine glatte, kindgerechte Antwort lag mir nicht gleich auf der Zunge.
Es ist ja nicht bloß eine Kinderfrage. Ist in ihr nicht der Wunsch verborgen, den wir Erwachsene ja auch hegen, beschirmt, beschützt, behütet durchs Leben zu gehen – gerade jetzt wieder, wenn wir die Schwelle zum neuen Jahr überschreiten. Wer weiß schon, was kommt, und wie wir durchkommen werden, wir und die anderen auch.
Manchmal habe ich erlebt, dass ich wunderbar bewahrt wurde; manchmal habe ich erlebt, wie mir genau im richtigen Moment wie durch ein Wunder ein rettender Gedanke kam. „Halleluja!“ - Grund genug jedenfalls ein Dankgebet zum Himmel aufsteigen zu lassen. Aber ich habe genug Lebenserfahrung, um zu wissen – das ist nicht immer so. Zuviel Schreckliches geschieht auf dieser Welt. Schutzengel, die alles Schwere abwenden – nein, an die kann ich nicht glauben.
Dann muss ich an Dietrich Bonhoeffers Gedicht von den „guten Mächten“ denken – gedichtet zum Jahreswechsel 1944 / 1945. So beginnt es:
Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar. So will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr…
Dietrich Bonhoeffer saß in verschärfter Gestapo-Haft, als er diese Zeilen schrieb und musste damit rechnen, hingerichtet zu werden.
Und doch spürt er sich umgeben von guten Mächten. Was meint er damit? Ein Brief an seine Braut gibt eine Antwort.
„Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: „zweie die mich decken, zweie, die mich wecken“ so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder.“
(Aus: Brautbriefe Zelle 92. Dietrich Bonhoeffer –Maria von Wedemeyer 1943-1945, hg. v. Ruth-Alice von Bismarck und Ulrich Kabitz, München, 1992, S. 208)
Ihnen und mir wünsche ich fürs neue Jahr 2023, dass wir dieses „unsichtbare Reich um uns“ tröstlich und bergend spüren – gerade dann, wenn es schwer wird – ja, dass wir darin Gottes Gegenwart erkennen. In diesem Sinne glaube ich an Schutzengel.
Pfarrerin Ruth Alber
In Zeiten der Zeitenwende
Über die »Zeitenwende« wird heute viel gesprochen. In den politischen Diskussionen der Gegenwart wird der Begriff »Zeitenwende« vor allem dazu verwendet, um auf die tiefgreifenden Veränderungen hinzuweisen, die seit Ausbruch des Ukraine-Krieges zu Kennzeichen unserer Zeit geworden sind. Vieles ist anders geworden. Und vieles kann künftig nicht so bleiben, wie es bisher gewesen ist. In Zeiten der Zeitenwende ist Umdenken angesagt. Die Münchner Sicherheitskonferenz bringt die »Zeitenwende« sogar »on tour«, um mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes den Wandel in Zeiten der Zeitenwenden zu diskutieren. »Zeitenwende« ist in aller Munde.
»Zeitenwende« scheint das Stichwort zu sein, in dem sich ein Gefühl unsere Zeit wie in einem Brennspiegel bündelt – und zwar nicht erst seit dem Februar dieses Jahres. Dies verrät ein Blick auf die Buchveröffentlichungen mindestens der letzten beiden Jahre. Umweltkrise, Pandemie, Irritationen im gesellschaftlichen Leben und anderes haben schon für sich das Gefühl einer »Zeitenwende« befeuert: Nichts ist mehr wie früher, alles ändert sich…
Zugegeben: Von einer »Zeitenwende« zu sprechen, ist schon eine ziemlich große Sache. Es klingt so, als würde eine Epoche zu Ende gehen und eine neue beginnen. Aber kann man das beurteilen, wenn man selbst mitten drin steckt? Und was bedeutet diese Wende? Ist sie eine Schwelle in eine bessere oder schlechtere Zeit?
Dennoch: Es gibt sie immer wieder – »Zeitenwenden«, Zeiten der Umbrüche und Veränderungen. In der Geschichte der Religion haben die Unsicherheiten solcher Zeiten immer wieder drastische Fiktionen einer Endzeit hervorgerufen, Szenarien, die in eine Bedrängnis oder in eine Heilszeit münden. Im Hintergrund steht allerdings ein menschliches Bedürfnis nach Halt in einer unruhigen Zeit, eine Sehnsucht nach dem Ewigen inmitten der Flüchtigkeit der Zeit.
Von Jesus von Nazareth werden sogenannte »Endzeitreden« überliefert. Den ältesten Text dieser Art bildet das 13. Kapitel des Markusevangeliums (= Mk). Hier finden sich drastische Vorstellungen: Es »wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen« (Mk 13,24–25). – Doch diesem aufgewühlten Szenario wird zugleich eine sehr nüchterne Mahnung beigefügt, die einen hilfreichen Impuls für Zeiten einer »Zeitenwende« enthält: Wachet!
»Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.« (Mk 13,32–33)
Wachet – in Zeiten der »Zeitenwende«!
Wachet – und bildet euch kein letztes Urteil über eure Zeit.
Wachet – und verschließt nicht die Augen.
Wachet – und bleibt offen für eine Wende zum Guten.
Wachet – und gestaltet die Zeit im Glauben, dass Gott der Herr der Zeit ist.
Darum: Wachet – und betet.
Der evangelische Theologe Jochen Klepper (1903–1942) fand hierfür einfühlsame Worte:
Der du allein der Ewge heißt
Und Anfang, Ziel und Mitte weißt
Im Fluge unsrer Zeiten:
Bleib du uns gnädig zugewandt
Und führe uns an deiner Hand,
Damit wir sicher schreiten.
(Evangelisches Gesangbuch 64,6)
Vikar Matthias Hofmann
Rosinenkuchen für Davids Krieger
David war nicht nur ein großer König Israels, sondern auch ein Mann des Krieges. Das Erste Buch Samuel erzählt davon, wie David einmal voller Zorn mit seinem gefürchteten Heer gegen Nabal, den Fürsten von Maon, zog.
Der Grund für diesen Feldzug war fadenscheinig, aber ausreichend, um David in Wut zu bringen: David fühlte sich beleidigt und wer David beleidigte, bekam sein Schwert zu spüren. Nabal der Fürst von Maon, ebenso stolz wie David und dazu noch ignorant, ließ ebenfalls die Schwerter wetzen. Das Rasseln der Waffen war weithin zu hören.
Doch die Männer hatten nicht mit der Klugheit Abigajils gerechnet, der Frau des Fürsten von Maon.
18Da nahm Abigajil schnell 200 Brote, zwei Krüge Wein, fünf fertig zubereitete Schafe, fünf Säckchen mit geröstetem Korn, dazu 100 Rosinenkuchen und 200 Feigenkuchen. Das alles packte sie auf die Esel.19Dann sagte sie zu ihren Knechten: »Geht schon mal voraus, ich komme gleich nach!« Ihrem Mann Nabal aber sagte sie nichts davon.
20Abigajil hatte sich auf ihren Esel gesetzt. Sie ritt auf der einen Seite des Berges hinunter. David und seine Männer kamen von der anderen Seite. Und so traf sie plötzlich mit ihnen zusammen. 23Als Abigajil sah, dass David ihr entgegenkam, stieg sie schnell von ihrem Esel herab. Sie verneigte sich vor David bis zur Erde und warf sich mit dem Gesicht auf den Boden.24Wie sie David so zu Füßen lag, sagte sie: »Mein Herr, es ist alles meine Schuld! Erlaub doch deiner Magd, offen mit dir zu reden! Bitte, hör dir an, was deine Magd zu sagen hat! .27Bitte, nimm jetzt dieses Geschenk an, das deine Magd ihrem Herrn mitgebracht hat. Du sollst es unter den Männern verteilen, die meinem Herrn auf Schritt und Tritt folgen.
Abigajil breitete ihre Gaben aus. Es duftete nach Geröstetem und Gebratenem und Gebackenen. David und seine Männer ließen es sich schmecken.
Wie aber sollten sie jetzt noch das Schwert schwingen, während die Frau ihres Feindes ihnen Rosinenkuchen reicht?
32Da sagte David zu Abigajil: »Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Er hat dafür gesorgt, dass du mir heute begegnet bist.33Gelobt sei deine Klugheit! Du sollst gesegnet sein, weil du mich heute vor Schuld bewahrt hast. 35Dann nahm David die Gaben an, die Abigajil ihm mitgebracht hatte, und sagte zu ihr: »Nun geh in Frieden nach Hause! Ich habe auf dich gehört und deine Bitte erfüllt.«
Leider ging die Geschichte nicht so friedlich weiter, wie es geröstetes Korn und Rosinenkuchen hoffen lassen. Kurze darauf starb Nabal und David zog weiter in den Krieg.
Aber für einen Moment schwiegen die Waffen und statt Säbelrasseln war das Scheppern der Schüsseln und Teller zu hören.
Für einen Moment war kein Schreien und Klagen zu vernehmen, sondern schmatzen und lachen.
Für einen Moment schmeckte der Frieden nach Rosinenkuchen. (Christiane Dohrn)
Wer die ganze Geschichte nachlesen will, findet sie im 1. Sam 25, 1 – 35 oder hier: https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/BB/1SA.25/1.-Samuel-25
»Gib Frieden, Herr!« Ein Lied wie eine Prophetie
1. Gib Frieden, Herr, gib Frieden,
die Welt nimmt schlimmen Lauf.
Recht wird durch Macht entschieden,
wer lügt, liegt obenauf.
Das Unrecht geht im Schwange,
wer stark ist, der gewinnt.
Wir rufen: Herr, wie lange?
Hilf uns, die friedlos sind.
2. Gib Frieden, Herr, wir bitten!
Die Erde wartet sehr.
Es wird so viel gelitten,
die Furcht wächst mehr und mehr.
Die Horizonte grollen,
der Glaube spinnt sich ein.
Hilf, wenn wir weichen wollen,
und lass uns nicht allein.
3. Gib Frieden, Herr, wir bitten!
Du selbst bist, was uns fehlt.
Du hast für uns gelitten,
hast unsern Streit erwählt,
damit wir leben könnten,
in Ängsten und doch frei,
und jedem Freude gönnten,
wie Feind er uns auch sei.
4. Gib Frieden, Herr, gib Frieden:
Denn trotzig und verzagt
hat sich das Herz geschieden
von dem, was Liebe sagt!
Gib Mut zum Händereichen,
zur Rede, die nicht lügt,
und mach aus uns ein Zeichen
dafür, dass Friede siegt.
Text: Jürgen Henkys (1980) 1983
nach dem niederländischen »Geef vrede, Heer, geef vrede«
von Jan Nooter 1963 Melodie: Befiehl du deine Wege (Nr. 361)
Liebe Leserin, lieber Leser,
immer wieder staune ich, wie Worte aus der Vergangenheit in eine völlig neue Gegenwart hineinsprechen.
Aktuell geht es mir so seit dem 24. Februar, und zwar jedes Mal, wenn ich das Lied »Gib Frieden, Herr, gib Frieden« lese oder singe. Es steht im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 430 und stammt aus dem Jahr 1983. Ich weiß schon, was Sie jetzt denken: Dafür, dass es im Gesangbuch steht, ist es doch eigentlich noch ziemlich jung. Aber dass vor 40 Jahren jemand so klare Worte gefunden hat, die den Ausbruch des Krieges in der Ukraine so klar und präzise beschreiben, finde ich bemerkenswert.
Gleich in der ersten Strophe springt einen die Zeile an: »Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf.« Weil ein Land die Macht hatte, nahm es sich das Recht, ein anderes Land zu überfallen. Obwohl die politische Führung noch kurz zuvor ganz bewusst die Lüge verbreiten ließ, man sei an einem Krieg nicht interessiert.
Seitdem bitten wir um Frieden. In unseren Gottesdiensten, sonntags und montags und freitags, und zu jeder sich bietenden Gelegenheit. Wir machen es so wie im Lied, dass wir den nüchternen Blick auf die Realität immer wieder einbetten in das Gebet: Gib Frieden, Herr!
Wie wichtig ist dieses Zusammenspiel! Dass wir die Augen öffnen für das, was geschieht. Nicht zulassen, dass »der Glaube sich einspinnt«, wie es im Lied heißt. Und gleichzeitig immer wieder neben dem Blick auf die Realitäten auch den anderen Blick einüben auf den Gott, der immer für den Frieden ist und uns den Frieden verheißt.
Dieser andere Blick zeigt uns einen Gott, der selbst verwundbar ist, der selbst gelitten hat, daran erinnert uns die dritte Strophe des Liedes, und daran werden wir gerade jetzt in der Passionszeit, in der wir das Leiden Jesu in den Blick nehmen, immer wieder erinnert: Als Jesus »unsern Streit erwählt« hat, hat er den Kreislauf der Gewalt durchbrochen. Er hat darauf verzichtet Rache zu üben und stattdessen etwas völlig Neues entstehen lassen, als er von den Toten auferstanden ist.
Ich bin überzeugt: Im doppelten Blick auf das Leid der Welt und den leidenden Gottessohn Jesus Christus entsteht die Kraft, die dazu führt, dass wir »in Ängsten und doch frei« die Not der Menschen, die jetzt Zuflucht bei uns suchen, sehen und mit dem, was wir haben, einen Beitrag leisten, um zu helfen.
Wie groß dieser gemeinsame Beitrag ist, ist übrigens auch etwas, worüber ich in diesen Tagen immer wieder staune.
Pfr. Dr. Gerhard Bergner